Bedeutung und Motivation

Betrachtet man einmal die Bereiche, aus denen sich die Germanen ihre Namensglieder entlehnten, so könnte man zu dem Schluss gelangen, daß sie ein sehr stolzes, wildes, kriegslustiges Völkchen waren. Denn die am stärksten vertretenen Bereiche waren die Tierwelt (z.B. eber/ebur = "Eber"; raben = "Rabe"; le(wo) = "Löwe") und die des Kampfes / des Krieges (z.B. asck = "Speer"; rihhi = "Herrschaft, Herrscher, Macht, Gewalt, Reich, Recht, mächtig"; hiltja = "Kampf"; wig = "Kampf, Streit, Krieg"). Milde, Güte und die Welt der Pflanzen rückten bei der Namensgebung zwar eher in den Hintergrund, waren jedoch auch vorhanden (z.B. wini = "Freund, Geliebter"; trût = "vertraut, lieb, Vertrauter, Geliebter, Freund"; helfa = "Hilfe, Beistand, Schutz").

Allerdings muss man auch sagen, daß schon im Althochdeutschen - ähnlich wie heute - die Kenntnis oder Beachtung der Bedeutung des Namens oder seiner einzelnen Glieder eine eher untergeordnete Rolle bei der Namenswahl spielte. Zu ihrer Entstehungszeit haben jedoch Inhalt und poetisch-erhabener Gebrauch dieser Wörter, die größtenteils in der Dichtersprache beheimatet waren, eine durchaus sinnvolle Motivation ergeben. Man nennt diese ältere Namensschicht auch Primärbildung. Davon zu unterscheiden ist die Sekundärbildung, in der die Namensglieder eher mechanisch zusammengesetzt werden und keine größere Motivation mehr erkennen lassen.

Zur Zeit der Primärbildung diente das Zweitglied meistens dazu, den Mann zu kennzeichnen; aber nicht nur auf direkte Weise (Mann als Sohn, Krieger, Held), sondern auch auf indirekte (metaphorische) Weise (Mann als Ding, als Tier: Löwe = jemand, der sich mutig / mannhaft für etwas einsetzt):

z.B. Mann als

Ding:      "Schild"    Wolf-rant
              "Helm"     Wolf-helm
              "Stab"      Siegi-stab

Knecht:   "Gott-schalk" (von skalkaz = "Knecht")

Tier:        "Bär"        Adal-bero
              "Hund"     Megin-hund

Krieger:  ahd. bald "kühn"     Wini-bald
             ahd. hart "streng"    Burg-hart
             "Speer + streng"     Ger-hart

Die Erstglieder liefern als Bestimmungswörter nähere Ergänzungen und betiteln die Welt des Mannes: 

z.B. Welt als

Raum:    "Land"        Land-wald
             "Norden"     Nord-berath (Norbert)

Volk:      kunni "Geschlecht"      Kuni-bert
             folk "Volk"                   Folk-mar
             thiet "Volk"                  Thiet-mar

Besitz:  "Boden, Erde"      Ada-rik
            "Besitz"               Uodal-rih (Ulrich)

An dieser ältesten Schicht germanischer Rufnamen kann man wohl den Idealtyp des Mannes der Germanen erkennen, was jedoch aus historischen Gründen (Völkerwanderung) nicht weiter verwunderlich ist.

Natürlich hatten auch Frauen kriegerische Namen (Haduwih = Kampf + heilig), aber im Allgemeinen waren Frauennamen friedlicher als Männernamen (Dietlinde = Volk + sanft).