Videomaterialien zum Umlaut und zur Vokalharmonie

Technische Hinweise: spielt die entsprechenden Video-Sequenzen ab. Es handelt sich um MPG-Files, die z.B. vom Windows-Media-Player abgespielt werden können.

1) Ein Großteil der Veränderungen im Sprachsystem des Deutschen sind Veränderungen der Sprechvorgänge bzw. der Artikulation.

2) Wir sprechen selten nur in Einzellauten, sondern in Lautgruppen: Koartikulation ist also die Regel.

[Ein Drama wie: Jan van MEHAN (Pseudonym von Hans HAVEMANN), Weltgericht. Die Tragödie der Urlaute A E I O U (Die Silbergäule 83/84), Hannover u.a. 1921 ist eine dadaistische Ausnahme: In diesem aktionsreichen Drama werden nur Vokale, keine Wörter, gesprochen.]

3) Konsonanten wie Vokale beeinflussen sich daher im Sprechvorgang, und zwar sowohl, wenn sie in unmittelbarer Nachbarschaft stehen, als auch über Silbengrenzen hinweg. Diesen Vorgang nennt man Assimilation.

4) Bei der Artikulation von Lautgruppen (d.h. Einzelwörtern wie Wortverbindungen) sind im Bereich des Rachens und des Kehlkopfes mehr als 30 Muskeln zu koordinieren.

 

Physische Grundlagen des Sprechvorgangs:

Was wir als Assimilation wahrnehmen, ist das Ergebnis von Vereinfachung und Erleichterung der Abläufe von Muskelbewegungen.

5) Die sog. 'Zungen(zer)brecher' sind - ohne Rücksicht auf allzugroße Sinnhaftigkeit - künstlich hergestellte Lautgruppen mit größtmöglich starken, gegenläufigen und entfernten Artikulationsstellungen und -bewegungen. In diesen Fällen dient die Assimilation, sprich: Versprecher, der Belustigung:

Blaukraut bleibt Blaukraut und Brautkleid bleibt Brautkleid.

Fischers Fritz fischt frische Fische, frische Fische fischt Fischers Fritz.

Der Cottbusser Postkutscher putzt den Cottbusser Postkutschkasten.

Meßwechsel Wachsmaske.

Spricht man recht prononciert aus: Li - by - en, Si - byl - le, so ist leicht zu bemerken, daß es bei der Artikulation der Silben gegenläufige Bewegungen von Lippen und Zungenrücken gibt. Sie werden zu einem einheitlichen Bewegungsablauf vereinheitlicht, spricht man: Li - bi - en, Si - bil - le. Die Alltagsaussprache, sogar deren Verschriftlichung, hält sich an die zweite Artikulation, da deren Bewegungsabläufe komfortabler zu sprechen sind. Assimilationen haben also Vereinfachung der Artikulation, Sprecherleichterung zur Folge.

6)Im Sonogramm sind Zungenbewegungen besonders einfach und gut zu zeigen. Da diese wichtig sind für die Lautbildung der Vokale, und da die für Konsonanten wichtige Unterscheidung von stimmlos und stimmhaft im Sonogramm nicht gezeigt werden kann, beschränken wir uns auf die Darstellung vokalischer Assimilationsvorgänge.

In diesem Schema sehen Sie, wie eine Ultraschallaufnahme, ein Sonogramm der Zungenbewegungen entsteht und welcher Bereich des Mundraums vom Ultraschallkopf erfaßt wird.

7) Als Beispiele hierfür nehmen wir die vokalischen Vorgänge, die in der Mittelhochdeutschen Grammatik von Heinz Mettke als Kombinatorischer Lautwandel (§§ 21-24) aufgeführt werden. Es handelt sich um die im Germanischen beginnenden Vorgänge von Hebung und Senkung, auch Brechung, Vokalharmonie u.a. genannt, sowie den für das Deutsche charakteristischen i-Umlaut.

8) Die Artikulation der Vokale ist im Schema des Vokaldreiecks (vereinfacht; genauer, aber komplizierter: Vokaltrapez) dargestellt.

Vgl. auch Werner KÖNIG, dtv-Atlas zur deutschen Sprache. Tafeln und Texte. Mit Mundartkarten S. 18 'Kopflängsschnitte bei der Artikulation verschiedener deutscher Vokale' [dazu demnächst Schemata].

9) Die unter Nr.7 genannten Vokalveränderungen werden in den Schemata (METTKE §§ 21 und 24) mit Hilfe von Pfeilen dargestellt. Sie wirken über die Einzelsilbe hinaus und führen zu Phonemwechseln und u.U. zur Entstehung neuer Phoneme.

 

HEY-Sätze

Beispiele für die Vokale:

A E I O U
                   

Beispiele für umgelautete Vokale:

Ö Ü
       

Beispiele für Diphthonge:

EI EU AU
   
EIEUAU

10) Der germanische Anfangsakzent bewirkt, daß das Energiemaximum auf der Wurzelsilbe ruht und für die Folgesilbe(n) daher weniger Ausspracheenergie zur Verfügung steht. Die Merkmale der Vokale in den Folgesilben wirken daher in die Artikulation der Stammsilbe hinein: Die Artikulation der Stammsilbe stellt sich gewissermaßen bereits auf die Folgesilben ein. Man spricht daher von Antizipation oder regressiver Assimilation, deren Ursache in der zentralisierenden Wirkung des Anfangsakzentes liegt. Sie ist daher auch die im Deutschen vorherrschende Erscheinungsform der Assimilation.

11) Im folgenden sollen die Auswirkungen des i-Umlauts demonstriert werden. Dabei gliedert sich der Umlaut in drei Phasen, die jeweils mit voralthochdeutschen, althochdeutschen und mittel- bzw. neuhochdeutschen Beispielen veranschaulicht werden sollen.

Der Primärumlaut wirkt sich auf das kurze a aus:

*gasti

gesti

geste/Gäste

*krafti

krefti

krefte/Kräfte

*aphuli

ephili

Äpfel

 

fasti

feste/fest

Der Sekundärumlaut betrifft das kurze a vor schweren Konsonantenverbindungen wie ht und hs, außerdem ist das kurze a bei Mehrsilbigkeit betroffen:

mahti mehti mächte
wahsit wehsit wähs(e)t
magadi megedi mägede

Der Restumlaut betrifft alle sonstigen umlautfähigen Vokale und Diphthonge:

hôhiro höher  
kuoni küene kühn
scôni schoene schön
Die soeben genannten Beispiele spiegeln auch die Chronologie der Entwicklung wieder. Zu Beginn der althochdeutschen Epoche setzt der Primärumlaut ein, der Restumlaut markiert den Übergang vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen.

12) Die Argumentationshilfe, die die Lautphysiologie, die Beschreibung der Mechanik der Sprechvorgänge bietet, kann aber nicht alle Phänomene der Sprachgeschichte ursächlich erklären; z.B. die Frage, weshalb es im Gotischen (oder anderen Sprachen) keinen i-Umlaut gibt oder warum er im heutigen Deutsch nicht mehr wirksam ist.

13) Neben dem absoluten Lautwandel in den Ablautreihen, dem Ablaut, treten in diesen noch weitere Vokalveränderungen auf, die auf assimilatorischen Umfärbungen beruhen. Diese kombinatorischen Lautwandel werden unter dem Begriff Vokalharmonie zusammengefaßt; sie werden auch Hebung, Senkung und Brechung genannt. Sie finden sich keineswegs nur bei den starken Verben, auf die wir uns hier allerdings beschränken.

14) Im Ahd. waren die Flexionssilben noch von den bunten Endsilbenvokalen geprägt, so daß zwischen der Artikulation der Stammsilbe und der der Endsilbe sehr unterschiedliche Artikulationsbewegungen bestanden. Diese einander anzunähern oder ganz anzugleichen ist das, was wir als Vokalharmonie bezeichnen.

15) Der Wandel von idg./germ. /ë/ zu ahd. /i/ tritt ein, wenn in der Folgesilbe ein /i/, /j/ oder ein /u/ stand. Die Folgesilbe, artikuliert mit stark gewölbtem Zungenrücken, bewirkt eine Hebung des Zungenrückens bereits bei der Aussprache der Stammsilbe. Im folgenden geben wir je ein althochdeutsches Beispiel aus der 3., 4. und 5. Ablautreihe, und zwar wird jeweils der Infinitiv, die 1. Person Singular Präsens und die 2. Person Singular gesprochen:

helfan ich hilfu du hilfis
neman ich nimu du nimis
geban ich gibu du gibis
Da im Mittelhochdeutschen die bunten Endsilben zu /e/ abgeschwächt oder ganz geschwunden sind, sind im Mhd. nur noch die Auswirkungen der Vokalharmonie zu erkennen, aber nicht mehr die Ursachen; hier zum Vergleich die mittelhochdeutschen Wortformen:

helfen ich hilfe du hilfest
nemen ich nime du nimest
geben ich gibe du gibest

16) Eine auf den Stammvokal folgende Nasalverbindung (/m/, /n/ + Konsonant) hat die gleiche Einwirkung auf die Stammsilbe wie ein /i/, /j/, /u/ in der Folgesilbe. Trotz des mit flacher Zungenlage artikulierten /a/ in der Folgesilbe heißt es deswegen in der 3. Ablautreihe im Althochdeutschen und im Mittelhochdeutschen:

bintan - binden
spr
ingan - springen

17) Ein vergleichbarer Vorgang, gewissermaßen eine gegenläufige Entwicklung, liegt dem Vokalwechsel in den Formen des Plurals und Partizips Präteritum der 2. - 4. Ablautreihe zu Grunde mit dem Nebeneinander von /u/ und /o/ in den Stammsilben. Die mit extrem gewölbtem Zungenrücken artikulierten Vokale /i/ und /u/ werden unter dem Einfluß von nachfolgendem /a/, /e/, /o/, die mit flacher oder wenig gewölbter Zunge gesprochen werden, zu /e/ oder /o/ gebrochen oder gesenkt.

Im folgenden werden Beispiele aus der 2., 3. und 4. Ablautreihe geboten. Zunächst die 1. Person Präteritum Plural der 2. und 3. Ablautreihe, dann das Partizip Präteritum der 2., 3. und 4. Ablautreihe. Dabei werden wiederum alt- und mittelhochdeutsche Formen gegenübergestellt:

wir bugum wir bugen
wir buntum wir bunden
gibogan gebogen
gibuntan gebunden
ginoman genomen

18) Eine zwischen Stammvokal und Endsilbenvokal stehende Nasalverbindung hat die selbe Wirkung wie /i/, /j/ oder /u/ in der Folgesilbe und verhindert die Brechung. Im folgenden werden Verben der 3. Ablautreihe, bei denen eine Nasalverbindung folgt, solchen mit einer Liquidverbindung gegenübergestellt; wieder folgen alt- und mittelhochdeutsche Wortformen aufeinander:

gibuntan gebunden
gispunnan gespunnen
gisprungan gesprungen
im Gegensatz zu:  
giholfan geholfen
giswollan geswollen
gigoltan gegolten

19) Analoges gilt für den Wechsel des Diphthonges idg. /eu/ zu ahd. /iu/, mhd. /iu/ = /ü:/ bzw. ahd. /io/, mhd. /ie/ im Präsens der Verben der zweiten Ablautreihe.